Der Charme des Webfehlers

Wenn Kritiker in einem Buch Fehler bemerken, ist im Zweifel immer das Lektorat schuld. Andererseits: Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob eine Korrektur dem Text nicht eine charmante Lücke nimmt, durch die etwas Eigenes weht.

In einem Romanmanuskript zum Beispiel schmachtet der Midlifecrisis-gebeutelte Held eine Studentin an, deren Kleid ihn völlig aus der Fassung bringt, weil der »Rückenausschnitt bis zur Bandscheibe« reicht. Ein »windschlüpfriges Auto« hätte sie vielleicht beeindrucken können, das aber stammt aus einem anderen Text. Ebenso wie der blickige Kommissar, dem schon im ersten Kapitel schwant, dass seine neue Bekannte »etwas im Busche führt«.

Manche der Schöpfungen haben sogar das Zeug zum Neuwort: Ein Doktorand erklärte in seiner Arbeit, was seine schlauen Grafiken jeweils »veranschlaulichen« sollen. Dieses Beutewort habe ich nach der Korrektur umgehend adoptiert.

Marion Kümmel ist Federwerkerin und freie Lektorin. Seit 2001 übernimmt sie Textdienstleistungen für Publikumsverlage, Agenturen, Unternehmen und Autor:innen. Sie redigiert Sachbücher und Fachtexte, wissenschaftliche Veröffentlichungen sowie Texte aus Unternehmenskommunikation und Werbung. Auf der Website des Lektorats erfahren Sie mehr.

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