Unwort des Jahres 2007 gewählt

Die »Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres« hat soeben ihre Wahl bekannt gegeben:

Das »Unwort des Jahres« 2007 heißt »Herdprämie«. »Das Wort diffamiert Eltern, insbesondere Frauen, die ihre Kinder zu Hause erziehen«, sagte der Sprecher der sechsköpfigen unabhängigen Jury, Horst Dieter Schlosser, am Dienstag in Frankfurt.

Anwärter für den Titel waren wie jedes Jahr von Bürgern vorgeschlagene »[…] Wörter und Formulierungen aus der öffentlichen Sprache, die sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen«. Mein Favorit aus der reichen Auswahl an Kandidaten war daher die »grundrechtsschonende Überwachungspraxis«.

Die Liste mit den Unwörtern und jeweils einigen weiteren Anwärtern aus den Jahren 1991 bis 2006 findet man hier und auf der Seite der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) Wiesbaden.

Marion Kümmel ist Federwerkerin und freie Lektorin. Seit 2001 übernimmt sie Textdienstleistungen für Publikumsverlage, Agenturen, Unternehmen und Autor:innen. Sie redigiert Sachbücher und Fachtexte, wissenschaftliche Veröffentlichungen sowie Texte aus Unternehmenskommunikation und Werbung. Auf der Website des Lektorats erfahren Sie mehr.

4 Kommentare

  1. Ja, ja, die Sache mit den Worten… Es gibt da einige Kandidaten bei mir, die nicht gewählt werden können. Sie sind weder aktuell noch kann ich eine Quellenangabe liefern – aber sie sind nett.
    Da gibt es zum Beispiel die “erneuerbaren Energien”. Es muss bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse gegeben haben, seit ich die Schule verließ. Bei mir wurde noch der Energieerhaltungssatz unterrichtet. Nun, es ist schon 15 Jahre her, dass ich mich mit Physik beschäftigt habe…
    Mein zweiter Favorit nennt sich “sozial schwach”. Da möchte man direkt vor Gericht klagen! Oder bin ich automatisch nicht gesellschaftsfähig, wenn ich mit wenig Geld wirtschaften muss? Vermutlich schlage ich dann täglich meinen “Fallmanager” und laufe betrunken durch die Straßen. Hoffentlich darf ich noch lange in mein Büro!!!

  2. @ Wiebke L.
    Ich sehe zwischen den beiden Beispielen, die Sie anführen, einen deutlichen Unterschied und wende mich erst mal dem einfacheren Fall zu.

    1. Die Fügung »erneuerbare Energien« halte ich nicht für einen Unwortkandidaten, weil sie zwar verkürzend, aber nicht »sachlich grob unangemessen« oder gar diskriminierend ist. Mir fallen zwei Gründe für eine solche sachlich verkürzende Bezeichnung ein:

    a) Sprachliche Fügungen beruhen auf unausgesprochenen Konventionen: Sie haben eine bestimmte Bedeutung, weil die Sprachgemeinschaft sie überwiegend so verwendet. Darum behalten wir Wörter und Wendungen mitunter bei, auch wenn uns klar ist, dass sie die Sache nicht genau bezeichnen. Ich verwende zum Beispiel nach wie vor einen »Zollstock«, obwohl ich nie einen mit Zolleinteilung sah. Wir schwärmen von einem schönen »Sonnenuntergang«, obwohl seit 500 Jahren bekannt ist, dass die Sonne nirgendwohin geht, sondern durch die Drehung der Erde aus unserem Blickfeld verschwindet.

    b) Bezeichnungen folgen dem Prinzip der Sprachökonomie, sie verkürzen also, um eine schnellere Verständigung zu ermöglichen. Wir gehen davon aus, dass »die Verwendung erneuerbarer Energien« verstanden wird als die »Verwendung von erneuerbaren oder nachwachsenden (pflanzlichen) Energieträgern bzw. von solchen Ressourcen, die nach menschlichem Ermessen unbegrenzt verfügbar sind (Sonnen- oder Windenergie)«.

    Meist stellt sich auch die Frage nach einer Alternative: Können Sie einen alltagstauglichen Vorschlag zum Ersatz der »erneuerbaren Energien« machen? Und ein Vorschlag genügt ja noch nicht einmal – er muss auch noch von den Sprechern/Schreibern akzeptiert und benutzt werden. Sonst ereilt ihn das Schicksal so gut gemeinter Vorschläge wie »sit« oder »Nullerjahre«, die es nur in Kuriositätensammlungen geschafft haben.

  3. Nun, den “Gliedermaßstab” verwende ich auch nicht – ich wäre als Mann auch ziemlich depressiv, wenn ich dies als Maßstab sehen sollte. :)
    Ich finde eher, dass man die Dinge doch ruhig beim Namen nennen kann – es mag ja sein, dass die Fügung “Wind- und Sonnenenergie” zu lang ist. (Und sie greift paradoxerweise zu kurz.) Doch beim Sprechen ist der Unterschied zu “erneuerbare Energie” kaum merklich – der Sprachfluss stimmt. Desweiteren ist das Wort “Energie” in dem Zusammenhang meist als “Strom” gemeint. (Lang natürlich “Lichtstrom”)Und den kann man durchaus erzeugen.

  4. Stimmt, soweit möglich, sollte man genau benennen, statt etwa zu beschönigen oder zu verhüllen (»Entlassungsproduktivität«). In anderen Fällen besteht die Schwierigkeit aber darin, dass »die Dinge« einfach (noch) keinen Namen haben. Wenn ich bei Ihrem Beispiel »erneuerbare Energien« bleibe, kann ich zwar Wind- und Sonnenenergie einzeln benennen. Was aber, wenn ich im Gegensatz zu »konventioneller Energiegewinnung aus fossilen Energieträgern« in einem Oberbegriff alle Verfahren bezeichnen will, die alternativ Energie gewinnen: die also aus Holzpellets, Biogas, Biodiesel usw. Energie gewinnen oder Sonnenkollektoren, Windkraftanlagen etc. benutzen?

    Dazu kommt, dass »Energie« im allgemeinsprachlichen Sinne in mehreren Bedeutungen verwendet wird, unter anderem für »elektrische Energie«, die in diesem Sinne eben auch erzeugt oder verbraucht werden kann. Wir benutzen »Energie« sogar als Oberbegriff für alle Energieträger, die wir im Haushalt einsetzen: steigende Energiepreise (Strom, Gas, Öl), das Energiesparhaus (braucht wenig von allem) …

    Wenn man hier nur die physikalische Bedeutung (samt Energieerhaltungssatz) zugrunde legt, müssten wir das ganze Wortfeld ersetzen: Energieverbrauch, Energieerzeugung, Energieverschwendung, Energiesparen usw. Aber fast alle Wörter der natürlichen Sprachen sind polysem (haben mehrere Bedeutungen). Die Verständigung funktioniert dennoch, weil wir in konkreten Texten meist ohne Probleme nur je eine zuordnen (aktualisieren).

    Schwieriger wird das Ganze, wenn eine Wortbedeutung nicht nur eine Sachbedeutung umfasst, wenn es also (wie bei Ihrem Beispiel »sozial schwach«) nicht nur um das genaue oder sachgemäße Bezeichnen geht. Das ist bei den typischen Unwortkandidaten stets der Fall. Aber dazu demnächst mehr.

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